Hanelsblatt



"Der entmündigte Idiot"

Wir sind die entmündigten Idioten. Wir sind "Menschenmaterial", das Arbeitskraft zur Verfügung stellen muss, konsumieren soll und über die Medien und die offizielle Politik auf völlige Verblödung trainiert wird.
Robert Kurz findet in seinem Buch "Schwarzbuch Kapitalismus" treffende Sätze für diesen Zustand.
"Während der einem zynischen Realismus verfallene Marktmensch sich einbildet, das aufgeklärteste Wesen der Welt zu sein, läßt er nahezu alles mit sich machen, nimmt die unglaublichsten Zumutungen fatalistischer hin als ein orientalischer Mystiker und läßt sich größeren Unsinn einreden als ein mittelalterlicher Bauer. Weil er jeden Maßstab verloren hat, kann er weiß und schwarz nicht mehr unterscheiden; und ob ihm etwas weh tut, muß er den Diagnosen von Experten oder der Statistik entnehmen. Erst dieser komplette, seiner kritischen Vernunft beraubte und entmündigte Idiot ist reif für eine flächendeckende Marktwirtschaft, an deren Gesetze er glauben darf wie der feudale Hintersasse an die Realexistenz von Hölle und Fegefeuer."
Kurz arbeitet in seinem "Abgesang auf die Marktwirtschaft" die Geschichte des Kapitalismus heraus und zieht eine Bilanz, die verheerender nicht sein könnte.
Er bezeichnet die Systeme des untergegangenen Ostblocks als staatskapitalistische Nachahmer der westlichen Welt, deren Arbeitssklaven nicht vom sogenannten "freien Markt" abhängig waren, sondern von einem restriktiven Staat.


Quelle: www.arbeiterfotografie.com

Kein wirklicher Unterschied also zwischen dem "untergegangenen" Ostblock und den westlichen Systemen?
Für Kurz war der Osten "von Anfang an keine historische Alternative, sondern immer nur eine gröbere, eher mickrige und auf halbem Weg steckengebliebene Billigversion des Westens selbst".
Nur die Unfähigkeit zur Selbstreflexion sei der Grund, "daß der Zusammenbruch des vorsintflutlichen Staatssozialismus als kapitalistischer Endsieg und als Endlösung der sozialen Frage ausgerufen werden konnte".
Übriggeblieben sei lediglich die eigene kapitalistische Legende: "daß sie nämlich grundsätzlich 'wohlfahrtssteigernd'" sei.
Demnach hätte die Menschheit vor der marktwirtschaftlichen Modernisierung im Elend verschmachten müssen. In Wirklichkeit verhält es sich für die Mehrheit der Weltbevölkerung genau umgekehrt."
Für Kurz ist es der Mehrzahl der Menschheit "in der kapitalistischen Frühgeschichte seit dem 16. Jahrhundert als auch in dem Vierteljahrtausend von 1750 bis heute in nahezu jeder Hinsicht schlechter gegangen als im 14. und 15. Jahrhundert."
Er bezeichnet es als "historische Grunderfahrung", dass der Kapitalismus einige wenige reich, die Masse aber bettelarm macht.

Quelle: www.arbeiterfotografie.com

Und um dieses offensichtlich perverse kapitalistische Gebahren möglichst nicht ins Massenbewusstsein gelangen zu lassen, sei eine tägliche, stündliche, ja permanente Wirklichkeitskontrolle notwendig.
"Nicht mehr die bürokratische Zensur der staatstotalitären Diktaturen, die an den alten Absolutismus erinnerte, bestimmt den Inhalt der (...) Massenmedien, sondern die programmierte Selbstzensur der medialen Institutionen. Das ist keineswegs nur die bekannte 'Schere im Kopf' bei der Darstellung und Interpretation brisanter oder entlarvender Geschehnisse. (...) Auf allen Kanälen spricht immer der 'Große Bruder', und zwar um so mehr, je kommerzieller sie ausgerichtet sind. (...) Nachdem die Menschen durch das objektivierte Zwangsverhältnis zu gelangweilten Funktionsrobotern eines ihnen vorgesetzten Selbstzwecks degradiert worden sind, dürfen sie ihren auf dieser geistigen Reduktionsstufe noch möglichen 'Konsumentenwillen' entfalten, und die Bedingungen ihrer Abstumpfung können ihnen als ihre eigene freie Entscheidung zurückgespiegelt werden."
Treffender kann die derzeitige Situation wohl nicht dargestellt werden. Täglich spitzt sich die Situation dieses totalitaristischen Systems zu. Der vom amerikanischen Präsidenten ausgerufene globale Krieg ist nur eine weitere Steigerung eines Systems, das dabei ist, sich selber und damit alles Leben zu vernichten.
Ein Ausweg aus diesem Wahnsinn scheint nur möglich, wenn das "Menschenmaterial" sich und das eigene Leben in Zusammenhang bringt mit dem Hunger, der Armut und den Kriegen dieser Welt. Die Erfolgsaussichten sind nicht sehr hoch, aber die Hoffnung bleibt.

"Eine Selbstheilung der Gesellschaft, eine Rückkehr auf den sozialen und ökologischen Boden der Tatsachen, eine Beruhigung des enthemmten und entgrenzten Fortschritts, ein erträgliches gesellschaftliches Leben und eine Grundgeborgenheit als Voraussetzung von Mitgefühl, generativer Verantwortung und ideeller Reflexion werden nur möglich sein, wenn dem absurd und gemeingefährlich gewordenen System der totalen Konkurrenz von atomisierten Individuen der Spiegel seiner eigenen Geschichte vorgehalten wird, damit die Selbsterkenntnis des kapitalistischen Menschen ein Ende des Kapitalismus ohne Schrecken erleichtert."

Robert Kurz, Schwarzbuch Kapitalismus - erschienen 1999 im Eichborn-Verlag
mh

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